Markus und sein erstes Festmahl in Bremen
Markus sitzt vor der ÖVB Arena und hat einen Kinderwagen bei sich stehen. Darin die 13-jährige Jacky, eine Jack Russel Terrierin mit treuen Knopfaugen. Markus ist obdachlos und extra aus Delmenhorst nach Bremen angereist, um an „Dein Festmahl“ teilzunehmen. Doch vor der Tür verlässt ihn auf einmal der Mut. „Ich habe Angst vor großen Menschenmassen“ gibt er ehrlich zu.
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Das Festmahl
Vor der Messehalle 4 bildete sich eine lange Schlange. Alle hatten ein Ziel: Ein gemeinsames Weihnachtsessen. Bereits zum achten mal veranstaltete „Dein Festmahl e.V.“ eine traditionelle Weihnachtsfeier für rund 1.000 Obdachlose und Bedürftige. Auch Senioren, die durch ihre knappe Rente auf Hilfe angewiesen sind und Einrichtungen wie „Die Tafel“ besuchen, gehörten zu den geladenen Gästen. Der gemeinnützige Verein wendet sich an Hilfseinrichtungen wie die Diakonie und „Die Tafel“, um mit den Betroffenen in Kontakt zu kommen.
Ein kleines Bändchen ist dann die Eintrittskarte für einen besonderen Tag in der Messehalle. Neben einem leckeren Weihnachtsessen werden die rund 1.000 Gäste mit nützlichen Geschenken und offenen Ohren empfangen.
Großes Angebot bietet Hilfe
Am gestrigen Dienstag, den 17. Januar, war es wieder soweit: Ein vorgezogenes Weihnachtsfest mit festlicher Ente, Klößen, Soße und Rotkohl. Dazu noch jede Menge Geschenkpakete, die den Betroffenen das Leben auf der Straße ein wenig leichter machen sollen. In den Tüten finden sich warme Socken, Schlafsäcke, Mützen, Schals und Wolldecken.
Auch für die oft einzigen und vierbeinigen Freunde wird mit Hundefutter, Leinen und wärmenden Hundepullovern gesorgt. Außerdem sind Veterinäre, Allgemeinmediziner, Zahnärzte und Friseure anwesend.
Markus überwindet seine Angst
Sein Bändchen hat Markus um den Arm. Doch innerlich kämpft er. Während die Schlange draußen etwas kleiner wird, füllen sich drinnen die festlich gedeckten Tische. Dekoriert ist die lange Tafel mit weißen Tischdecken, Weihnachtssternen, Mandarinen und Nüssen.
Markus hadert noch mit sich. Die großen Menschenmenge macht ihm Angst. Auf der anderen Seite wurde er zu dem Festmahl eingeladen, wofür er dankbar ist. Ein ehrenamtlicher Helfer nimmt sich seiner an und besorgt Markus einen ruhigeren Platz ganz hinten im Saal. Doch dessen erster Gedanke gilt nicht seinem leiblichen Wohl, sondern er sucht zuerst den Veterinär auf, um Jackys Zähne durchchecken zu lassen. Dieser empfiehlt regelmäßiges Zähneputzen bei der Hundedame.
Anschließend kommt Markus zurück in den Saal, wo Bürgermeister und Schirmherr Andreas Bovenschulte mit Weihnachtssongs auf der Gitarre für die passende Stimmung sorgt. Markus nímmt mit Jacky seinen Platz ein. Einer der über 200 ehrenamtlichen Helfer bringt ihm sein Festmahl. Während er versucht, die leckere Entenkeule zu genießen, ist es Jacky durch die Musik zu laut. Nervös läuft der treue Terrier unter dem Tisch hin und her. Markus macht sich Sorgen, setzt sich daher lieber einen Moment vor den Saal.
Hier nutzt er die Zeit, um Schlagerzeile® exklusiv zu erzählen, warum er heute seit sieben Jahren auf der Straße lebt. „Ich hatte Streit mit meinem Vermieter. Das war mein Weg in die Obdachlosigkeit.“ Markus holt tief Luft und berichtet weiter. „Als ich mich um eine Unterkunft für Obdachlose kümmerte, bekam ich tatsächlich die Antwort, ich müsse meinen Hund abschaffen.“ Das kam für ihn aber nicht in Frage: „Man gibt keinen guten Freund weg.“ Also zog er es vor, in Delmenhorst auf der Straße zu leben.“
Heute ist sein Stammplatz eine Bank in Delmenhorst. Der Raum, in der der Geldautomat steht, sei gut beheizt, und er wird von der Bank geduldet. Ab 23.00 Uhr lassen sich die Türen bis morgens um 6.00 Uhr von außen nicht öffnen. „Dann fühlen wir uns sicher.“ Und bevor morgens die ersten Kunden kommen, ist Markus eh meist schon unterwegs, weil Jacky auf ihre Gassirunde besteht.
Als wir abends mit Markus zum Bahnhof gehen, damit er seinen Zug nach Delmenhorst nehmen kann, beeindruckt uns seine großzügige Art. Er geht an einem anderen Obdachlosen vorbei, der am Straßenrand auf dem Boden liegt und ebenfalls einen Hund bei sich hat. Er öffnet seinen Rucksack und legt für den Hund ein paar Leckerlies und für seinen „Kollegen“ einen Schokoladenweihnachtsmann hin. Nur ein paar Schritte entfernt der zweite Obdachlose, schlafend auf dem Boden, vor ihm ein paar leere Flaschen Bier. Markus geht zu seinem Kinderwagen, holt eine kleine Wolldecke heraus und deckt den schlafenden Mann zu. „Schön zugedeckt bleiben, und nimm die Decke nachher mit“, verabschiedet er sich von dem Schlafenden.
Als wir uns dann mit einem traurigen und betroffenen Gefühl im Bauch von Markus trennen, tauschen wir noch die Handynummern aus. „Lass uns doch in Kontakt bleiben“, bittet uns Markus. Zum Schluss verabschieden wir uns mit dem Versprechen, uns nächstes Jahr beim Festmahl wiederzusehen. Gehen dürfen wir aber nicht, ohne dass er Kinderreporterin Finja, die ihm einen Schlafsack besorgt hat, einmal ganz fest gedrückt hat. Er gibt Finja noch die Hand und drückt ihre kleine Hand dabei fest zusammen. „Das ist nicht viel, aber nur für dich. Kauf dir was Schönes zu Weihnachten.“ Als Markus in der Menschenmenge des Bahnhofs verschwunden ist, öffnet Finja ihre Hand. Als Geschenk hat ihr Markus tatsächlich zehn Euro in die Hand gedrückt. Anbei findet Ihr das komplette Interview mit Markus, der uns mit seiner persönlichen Geschichte zu Tränen gerührt hat.
Prominente Helfer und ein weihnachtliches Bühnenprogramm
Wie es sich für ein Festessen gehört, wurden alle Gäste königlich bedient. Unter anderem haben Ex-Fußballprofi Stefan Effenberg und seine Frau Claudia serviert. Aus dem Hamburger Umland waren Schlagersänger Pascal Krieger und die JunX mal wieder angereist. Diese Hamburger Schlagerriege gehört schon seit mehreren Jahren zum Inventar von „Dein Festmahl“.
Einige Gäste hatten besonderes Glück und fühlten sich wie im Himmel. Denn ihr Festessen kam von Top-Model Franziska Czurratis, das sich in der Schlagerwelt als Jenice einen Namen gemacht hat. Mit Nino de Angelo führte sie die letzten Wochen mit „Willst du mit mir geh’n“ die Single-Charts an.
Weitere prominente Helfer waren beisielsweise Peter Freudenthaler, Sänger von Foolsgarden, Uwe Rohde, Andrea Ballschuh, Mia Ohlsen und Festmahl-Moderator Mario Roggow. Unterstützt wurde die Promiriege von helfenden Händen von Schülern der Alice-Salomon-Schule Hannover sowie der siebten Klasse des Gymnasiums Horn, der U17-Mannschaft von Werder Bremen, Mitarbeitern von Hansewasser und Servicekräften von Levy Personalservice.
Auf der Bühne sorgten die Sänger für die passende musikalische Unterhaltung. Den Eisbrecher machte Pascal Krieger und brachte die Festgäste in Partystimmung. Peter Freudenthaler brachte den Saal natürlich mit „Lemon Tree“, dem großen Hit von Foolsgarden, zum Tanzen. Jenice sorgte mit „Engel oder Teufel“ und „Nie mehr alleine zu zweit“ für tanzende Menschen vor der Bühne.
Redakteurin Tina ehrenamtlich im Einsatz
Die ca. 1.000 Gäste mussten sich, wie es sich für ein Festmahl gehört, natürlich nicht selbst bedienen. 200 ehrenamtliche Helfer haben drei Tage lang aus der Messehalle den Festsaal gemacht und am Veranstaltungstag selbst als Servicekräfte fungiert. Schlagerzeile®-Redakteurin Tina bediente an Tisch 45:
„Meine Gäste waren weniger Obdachlose, sondern vielmehr Menschen, die zwar ein Dach über dem Kopf, aber sonst nur sehr wenig haben. Sie alle zeichnete Eines aus: Dankbarkeit und eine schier unfassbare Höflichkeit. Keiner, der sicht nicht mehrfach für Essen und Service bedankte, Keiner, der nicht höflich und mit den besten Wünschen für mich und meine Familie verabschiedete. Dennoch fiel auf: Für die meisten Bedürftigen stand weniger das eigentliche Festmahl im Vordergrund. Vielmehr ging es um die Angebote drumherum. Tierarzt, Friseur und die anderen Dienstleister konnte man hinter langen Schlangen schon gar nicht mehr sehen, Schlafsäcke und Isomatten sowie Winterkleidung waren äußerst begehrt.
Ich hörte von so vielen unterschiedlichen und doch ähnlichen Schicksalen, die äußerst nachdenklich, wenn nicht sogar traurig stimmen, und in einem Land wie Deutschland eigentlich nicht vorkommen dürften. Da betrachtet man auch das eigene Leben mal aus einem ganz anderen Licht. Aus ’Ich kann froh sein‘ wird auch mal ein ’Was wäre, wenn..?“